Dostojewski wird 200. Ein Interview mit Markus Spieker

Dominik: Am 11.11. beginnt für einige in Deutschland die sogenannte 5. Jahreszeit, da wird der Karneval eröffnet. Lieber Markus, was bedeutet der 11.11. in diesem Jahr für dich?

Markus: Früher hat er mir gar nicht so viel bedeutet, denn ich bin kein Karnevalist und ich komme auch nicht aus Köln. In Sachsen wird gar nicht so viel Karneval gefeiert. Aber vor allem, seit ich mich intensiv mit Dostojewski beschäftige, bedeutet das natürlich, dass der gute Mann am 11.11. 200 Jahre alt wird. Und das ist für mich auch deshalb ein ganz wichtiges Thema, weil ich jetzt doch einen großen Teil meiner Zeit mit diesem schönen und klugen Mann verbracht habe.

Dostojewski – der Name klingt in der deutschen Kulturgeschichte. Gelesen haben ihn vielleicht nicht mehr so viele, auch weil seine Bücher sehr opulent sind. Manchmal fragt man sich: Muss man denn immer so dicke Bücher schreiben? Hatte der Mann zu viel zu sagen, oder hatte das noch andere Gründe?

Er hatte zu wenig Zeit, kürzere Bücher zu schreiben. Darüber klagt er selber immer, wenn er sagt: «Ich wäre gerne nochmals drüber gegangen, aber dann war schon die nächste Deadline.» Als einer der ganz wenigen berühmten Autoren des 19. Jahrhunderts hat er wirklich davon gelebt und musste immer liefern und hat immer Vorschüsse bekommen und hat dann geackert wie ein Ochse, um das einzuhalten. Parallel hat er noch Zeitungen herausgegeben und Kurzgeschichten geschrieben. Und deshalb sind die Bücher so lang geworden. Aber irgendwie macht es die Bücher auch so fesselnd, weil dort ist fast ungefiltert das wahre Leben drin. Er hat einfach beschrieben, was in ihm vorging und was er erlebt hat in der Zeit, und das war absolut klug und prophetisch. Man kann fast dankbar sein, dass er nicht die Zeit gehabt hat zu redigieren!

Wenn wir durch dein Buch gehen «Rock Me, Dostojewski!» – also schon ein Gongschlag, der den Leser hier erwartet – dann merkt man auch, wie du zum einen versuchst, dem Autor ein bisschen Geländer zu geben, um ihn dann auch selbst zu Wort kommen zu lassen. Also eine wunderbare Anthologie. Wie müssen wir uns das 19. Jahrhundert vorstellen, um verstehen zu können, was Dostojewski ausmacht und bewegt?

Ich hab das Buch im Tandem geschrieben mit meinem lieben Freund David Bühne. Das passt deshalb so gut, weil Dialog ist eigentlich das Primäre in den Werken von Dostojewski. Da unterhalten sich dauernd Leute und bringen dadurch die Wahrheit hervor. Also das Buch ist auch im Dialog entstanden. Konkret zu deiner Frage: Das 19. Jahrhundert ist ähnlich wie dieses Jahrhundert ein Zeitalter des ganz krassen Umbruchs. Da wechselt es von der Landwirtschaft-orientierten Gesellschaft in die Industrialisierung. Die Städte platzen aus allen Nähten, es gibt technologische Entwicklungen. Es ist das Jahrhundert, wo Elektrizität zum Einsatz kommt, wo die Eisenbahn auf einmal fährt, wo man tatsächlich auch lange Strecken überwinden kann. Und wo auch gesellschaftlich alles durchgeschüttelt wird, wo auf einmal die Frauen anfangen und sagen: «Wir wollen studieren. Wir wollen gute Jobs haben.» Und in dieser sehr revolutionären Zeit, in der auch der Kommunismus u. a. erfunden wurde, lebte Dostojewski und hat das auch in seinem Leben total miterlebt. Es ist also ein wahnsinnig erfahrungsgestütztes Werk, was er uns da hinterlassen hat. Er zeigt uns damit: Wie können wir mit Umbrüchen umgehen. Denn das hat quasi sein Leben geprägt! [...]

In der Rubrik BücherTALK vom Fontis-Podcast «Die literarische Hausapotheke» kommen Verlagsleiter Dr. Dominik Klenk und Lektorin Anne Helke mit Autorinnen und Autoren über Lesenswertes ins Gespräch.

«Fontis-Podcast: Die literarische Hausapotheke» hier anhören:

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